FROME – wo Bürger ihre Stadt selbst regieren
Wer in seiner Stadt Politik von Relevanz mit Effizienz und Spass betreiben will, kann von Frome lernen.
Wie alles begann
Viele Bürger in Frome hatten die Nase voll: In ihrer 25.000 Einwohner Stadt in Somerset hatte Parteipolitik zu Stagnation geführt. Viele politische Entscheidungen schienen mit Willkür getroffen.
Eine Gruppe von Bürgern nahm die Dinge selbst in die Hand und gründeten die „Unabhängigen für Frome” (Independents for Frome, IfF).
Auf Grundlage des Kommunalgesetzes (localism act) von 2011 gründeten sie eine Kleinpartei (minor party); ein Konstrukt, das Parteigründungen auf lokaler Ebene vereinfacht.
Bei den Kommunalwahlen von 2011 holten IfF aus dem Stand heraus 11 Stadtratssitze von 17.
Durchbrüche gelangen bei den folgenden Kommunalwahlen 2014 und 2019, als IfF alle 17 Sitze erhielten.
Eine Arbeitsweise
Das IfF Modell ist in erster Linie eine Arbeitsweise mit ihren eigenen spezifischen Überzeugungen, Praktiken und den hieraus resultierenden Verhaltensweisen.
Die Grundüberzeugung ist, dass Zuhören und Bürger einbeziehen erforderlich sind, wenn eine Stadt ihre Bewohner unterstützen und gesunde Lebensverhältnisse für alle schaffen will.
Statt auf das Spaltende konzentrieren sich IfF auf das, was eine Gesellschaft verbindet. Statt zu kritisieren, was nicht gut läuft, tun sie mehr von dem, was gut funktioniert.
IfF begrüßen Meinungsverschiedenheiten; denn sie bedeuten größere Meinungsvielfalt. Sie haben gelernt, auf nicht-konfrontativer Weise mit Konflikten umzugehen.
Von Anfang an wollten IfF kein Parteiprogramm. Parteien können sich in der Regel ohnehin nicht hieran halten. Stattdessen warben sie für eine Zusammenarbeit mit Bürgern und jeweils betroffenen Akteuren, um gemeinsam Stadtpolitik zu gestalten.
Die Politik des jetzigen Stadtrats von Frome reflektiert die Arbeitsweise der IfF Bürgerbewegung.
Die Arbeitsstrukturen
Mit nunmehr 17 unabhängigen Stadträten statt zwei oder drei Parteirichtungen, muss eine breitere Meinungspalette verarbeitet werden. Hierfür engagiert der Stadtrat unabhängige Profi-Moderatoren. Diese leiten die Mitglieder des Stadtrats durch Prozesse, in denen sie lernen zu zu hören, sich in die Sicht anderer zu versetzen, friedlich zu beraten und dann zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen.
Für die Bürger verfolgt der Stadtrat einen Ansatz zur Selbstbestimmung:
Der Schwerpunkt liegt darauf, Gemeinschaft zu stärken und die aus der Bürgergemeinschaft erwachsenen Ideen zu unterstützen.
Der Stadtrat investiert geringe Beträge in neu entstehende Initiativen und Organisationen. Diese sorgen ihrerseits für weitere Mittel, gründen Wohltätigkeitseinrichtungen und arbeiten mit Ehrenamtlern. Arbeit und finanzielle Belastung werden auf diese Weise auf eine Reihe von Akteuren und Organisationen aufgeteilt. Gemeinnützige Arbeit kann so wesentlich leistungsstärker und wirkungsvoller betrieben werden kann als dies wenige Verwaltungsmitarbeiter zu leisten vermögen.
Das politische System funktioniert hier wie ein Organismus mit dem Stadtrat als dem Herzstück.
Ein weiteres Strukturelement in Fromes Arbeitsweise sind Panels. Sie bestehen aus Experten und Bürgern; Leute mit für die jeweils anstehende Aufgabe erforderlichem Fachwissen und Fähigkeiten. Gemeinsam arbeiten sie an Strategien.
Diese Panels haben traditionelle Stadtratsausschüsse ersetzt. Sie existieren jeweils nur für begrenzte Zeit. Da der Stadtrat Panels als Expertengremien ansieht, werden deren Empfehlungen anschliessend angenommen.
Für Veranstaltungen verfügen die Bürger Fromes darüber hinaus über einen Bürgerhaushalt. Zuletzt betrug dieser £30.000.
Die Vorschläge werden auf öffentlichen „Dragon’s Den“ Veranstaltungen (Höhle des Drachen) oder per Video online vorgestellt und abgestimmt.
Frome plant zudem die erste Bürgerversammlung. Sie wird sich mit Klimawandel befassen.
Eine Zufallsauswahl von etwa 50 Bürgern soll sich dann regelmässig treffen und den Stadtrat beraten.
Was ist nun anders?
Der IfF Ansatz unterscheidet sich von traditioneller Politik nicht „nur“ dadurch, dass hier unabhängige Bürger regieren.
Hier herrscht ausserdem der ehrliche Wunsch vor, gemeinsam mit den Menschen Politik zu gestalten. Es erfordert, Formalitäten abzuschaffen, das Expertentum von Bürgern anzuzapfen, diese zu bestärken und einzubeziehen, sowie smarte Entscheidungsprozesse anzuwenden. Die übliche Konfrontation wird so aus der Politik herausgenommen.
Es braucht Mut und Unvoreingenommenheit, Expertenwissen dort zu suchen, wo es ist. Es erfordert die Bereitschaft mit möglichst vielen Menschen zusammen zu arbeiten. Weitere wichtige Elemente sind Risikobereitschaft, Fehler zulassen und hieraus lernen.
Frome definiert die Rolle von Politikern als „Moderatoren guter Ideen“. Sie hören anderen zu statt sich selber als die exklusiven Experten anzusehen.
Herausforderungen bleiben
Auch nach acht Jahren IfF im Stadtrat, ist in Frome ein Teil der Skepsis gegenüber „Politikern“ noch nicht ganz ausgeräumt.
Noch immer wissen viele Menschen in Frome nicht viel über IfF. Das Desinteresse an Lokalpolitik zeigte sich auch bei den Kommunalwahlen im Mai 2019. Zwar errangen IfF 80% der Stimmen; es hatten jedoch nur 35% der Wahlberechtigten mitgestimmt.
Neue Wege in der Politik zur Normalität zu machen braucht viel Geduld und Engagement. Die geplante Bürgerversammlung bietet eine gute Gelegenheit für einen Schritt voran.
Und die Erfolge?
Der größte Erfolg in Frome ist die Qualität der Beziehung zwischen Regierenden und Regierten. IfF haben den Stadtrat in einen Ort verwandelt, wo Bürger sich willkommen fühlen, angehört werden und Unterstützung erhalten, um Politik mit gestalten zu können.
Für ihre „Arbeitsweise“ hat Frome eine Reihe von Auszeichnungen erhalten wie “Stadtrat des Jahres“ (Council of the Year) oder „Große Auszeichnung für Städte“ (Great Town Award). Andere Städte haben begonnen, das Frome-Modell zu übernehmen.
Weitere Erfolgsfaktoren: Parteipolitik, Formalitäten und das Ego wurden aus dem Politikmachen herausgenommen. Auch Spass, Humor und Feiern gehören zum Erfolg. Viele Menschen investieren Zeit und Arbeit in die ganzheitliche Politik Fromes; viele hiervon ehrenamtlich. Ohne Spass wäre dies langfristig kaum möglich.
Agilität in schnelllebigen Zeiten?
Zusammenarbeit mit Bürgern und deren Vereinigungen auf Augenhöhe bringt der Politik ein Element flexibler Anpassung.
Thematische Panels können für zeitlich befristete innovative Aufgaben problemlos eingesetzt und wieder aufgelöst werden.
Fehler zu erlauben und hieraus zu lernen ermöglicht Experimente.
Profi-Moderatoren, die dem Stadtrat zu zügigen gemeinsamen Entscheidungen als Gruppe verhelfen, tragen ebenfalls zur Agilität bei.